Krav Maga an der Gutenbergschule als Gewaltprävention
Heute war ein wunderschön sonniger Mittwochmorgen in Karlsruhe. Vor der Turnhalle warten schon die Schüler der 5. Klasse auf ihren Lehrer, um in die Turnhalle zu dürfen. Manche sind ein wenig aufgeregt, andere versuchen besonders cool zu sein. Ich bin als Gast für die Alexa Kinderstiftung dabei und will mir einen Eindruck verschaffen, wie das Krav Maga auf die Kinder wirkt, was sie von einem solchen Training mitnehmen können.
Der Krav Maga Instructor Michael Bauer, seine liebevolle Assistenztrainerin Melina und ein paar Trainingsutensilien lassen nicht lange auf sich warten.
Während die Schüler sich umziehen, führt Michael noch ein kurzes einleitendes Gespräch mit dem verantwortlichen Lehrer. Im Vorgespräch scheint kurz durch, dass drei Schüler:Innen fehlen. Leider sind es genau diejenigen, die ihre Aggressivität nicht gut kontrollieren können und denen die Einheit heute richtig guttun würde. Gerade junge Menschen, die stark schüchtern sind und somit leicht gemobbt werden oder auch über ein hohes Aggressionspotenzial verfügen, können besonders von Krav Maga profitieren.
Um was es sich bei Krav Maga im Kern handelt:
Laut Wikipedia Eintrag handelt es sich bei Krav Maga um ein modernes, eklektisches israelisches Selbstverteidigungssystem, das bevorzugt Schlag- und Tritttechniken nutzt, aber auch Grifftechniken, Hebel und Bodenkampf beinhaltet. Vor allem kann es schnell angeeignet werden und die Lernerfolge lassen nicht lange auf sich warten.
Das Training richtet sich an drei Zielgruppen:
- Privatpersonen zur Selbstverteidigung, Deeskalation, Stressresistenz und mit Zusatznutzen für die allgemeine Gesundheit und Fitness,
- den Sicherheitsbereich und die Polizei sowie
- das Militär
Natürlich geht es heute in der Schule um die Deeskalation, Stressreduktion und auch Selbstverteidigung. Wie kann ich schnell aus angespannten Situationen rauskommen bzw. wie vermeide ich solche?
Die Antworten hat Michael, Schulleiter der Sport und Events – Krav Maga Defcon Schule Karlsruhe mit Hauptsitz in Waldbronn.
Es geht zunächst in den Theorieteil, der Trainer stellt Fragen wie:
- Wie erkenne ich, dass ich in einer Gefahrensituation bin?
- Wie kann ich dies ggf. vermeiden?
- Wie erkenne ich eine Notlage?
- Wie lerne ich einzuschätzen, dass eine Gefahr droht?
- Wie gehe ich mit dieser Gefahrensituation um?
Von den Schülern kommen Antworten, wie „ich drehe mich um und haue den um“ oder „ich suche Hilfe, gehe in einen Bäcker“.
Michael erklärt, dass es das Wichtigste ist, die Gefahr zu vermeiden. Wenn sie nicht zu vermeiden ist, geht es darum, möglichst schnell wieder aus der Situation rauszukommen. Auf keinen Fall wird gleich zugeschlagen. Die Kraft, Schnelligkeit und die Schmerztoleranz des Angreifers sind nicht einschätzbar. Beide, Täter (Aggressor) und Opfer sind in einer extremen Stresssituation, es muss in Sekunden entschieden werden: Kampf oder Flucht?
Aber „Wie beuge ich vor?“ war doch die wichtige Frage.
Michael hat hierzu einige Ratschläge:
- Lerne Situationen einzuschätzen und stelle schnell eine Distanz zur Gefahrenquelle her.
- Gehe aufmerksam und achtsam mit deiner Umgebung um, lerne zu beobachten.
- Hast du das Gefühl verfolgt zu werden: drehe dich um, schau was hinter dir ist, zeige Interesse und bleibe auf beleuchteten Wegen.
- Vergiss nie beim Beobachten auch anderen zu helfen. So wie du geholfen haben willst, mach das auch für andere. Aber nur so wie du das kannst. Wähle den Notruf, fordere andere auf, zu helfen und sei hilfsbereit.
Aufmerksamkeit und Distanz fallen als weitere wichtige Schlagwörter. Die Kinder hören interessiert zu und freuen sich auf den praktischen Teil.
Es gibt zunächst ein lustiges, aber sehr schweißtreibendes Aufwärmspiel. Michael erklärt, warum man im Ernstfall lieber mit einer offenen Hand statt mit Fäusten schlagen soll. Er erklärt den Kindern, dass wir immer erst deeskalieren sollen. Eine offene Hand sieht „freundlicher“ aus, eher wie ein Stopp!!! Bei Fäusten wirkt es wie eine Kampfansage. Es geht auch um die eigene Verletzungsgefahr, die mit Fäusten größer ist. Zum selbst Erfühlen dürfen die Kinder mit Fäusten auf den Boden schlagen, anschließend mit der flachen Hand.
Weiter geht es mit Schlag- und Tritttechnik: gerade Schläge, Ohrfeige, Schnappkick. Auch hier betont der Trainer mehrfach: Diese Techniken sind nicht zum Angreifen gedacht, es geht darum, schnell aus einer Gefahr zu kommen. Der Schmerz beim Gegner muss prompt entstehen und überraschen. In diesem Moment der Ablenkung rennt man weg und baut Distanz auf. Bei den geraden Schlägen ist die Nase das Ziel, Ohrfeigen sind selbsterklärend und beim Schnappkick geht’s in die unteren Weichteile. Michael erklärt auch was passiert, wenn die Schläge treffen. Das Schmerz auf die Nase zu Tränen führt, die Sicht eingeschränkt ist oder die Ohren für den Gleichgewichtssinn wichtig sind.
Dann werden Pärchen gebildet und jeder darf im Wechsel die Pratze (Schlagpolster) halten und auch richtig fest zuschlagen. Die korrekte Haltung und das Ausführen des Schlages werden genau erklärt. Michael und seine Assistentin Melina gehen durch, geben Hilfestellungen und verteilen Lob.
Auch den Schülern, die erst nicht mit machen wollten, macht es plötzlich richtig Spaß. So mancher ist auch überrascht was er oder sie kann. Ein Mädchen erzählt, dass sie so gerne auch einen Kampfsport machen würde. Allerdings ist der Vater der Meinung, dass das nur etwas für Jungs wäre. Wie schade. Vielleicht kann sie ihn mit den Eindrücken, die sie heute gewonnen hat, davon überzeugen, dass es sehr wohl etwas für Mädchen ist? Ich habe sie jedenfalls bekräftigt, nochmals auf ihren Vater zuzugehen.
Ruckzuck geht die Zeit vorbei und das erste Training ist zu Ende. Michael ruft die teilweise recht erschöpfte Rasselbande zusammen und bittet nochmal um Aufmerksamkeit.
Die Schüler strahlen, tuscheln und haben sichtlich Freude. Sie haben etwas gelernt, man merkt manchen regelrecht an, dass sie selbstbewusster und vor allem neugierig geworden sind.
Ein Schüler fragt, was er machen soll, wenn er mit einem Messer bedroht wird. Michael schaut ihn ernst an und sagt energisch nur zwei Worte:
„Renn weg!“
Michael hat auch noch ein paar „Hausaufgaben“ für die Schülerinnen und Schüler:
- Trainiert zu Hause regelmäßig.
- Wenn euch jemand angreift, baut die notwendige Distanz auf,
- Lernt die Situation einzuschätzen: Werde ich „nur“ bedroht und kann Wertsachen hergeben (die weniger Wert als mein Leben sind) oder werde ich angegriffen.
- Versucht, erst durch Reden und „den Mund aufmachen“ zu schlichten
- In Kürze:
Streit vermeiden – Situationen aufmerksam beobachten – Mund auf! – schnelles Handeln – Distanz
Nach einer für alle Beteiligten intensiven und tollen Trainingseinheit räumen die Trainer ihre
Sachen zusammen. Die Schüler rennen, um sich schnell umziehen. An der Tür zur Turnhalle
warten schon einige Kinder, um Michael mit ihren Fragen zu überhäufen. Auch gibt es viele
Kinder, die gerne ins Training kommen möchten.
Es ist faszinierend zu sehen, welchen Eindruck der Trainer hinterlassen hat. Durch seine sanftmütige, aber klare Härte bei der Durchsetzung seines Trainings hat er sich den Respekt der Kinder verdient. Für viele ist er schnell zu einem Idol geworden. So stark, so klar, so vernünftig. Auch der Lehrer hätte am liebsten mit gemacht und freut sich, über die Resonanz
bei seinen Schülerinnen und Schülern. Alle Beteiligten sind sich einig: Es war eine rundum gelungene Trainingseinheit.
Danach gehe ich noch in ein benachbartes Café und bekomme mit, dass die Nachbarn der Schule Ängste verspüren. Sich in manchen Situationen auch unsicher den Schüler:Innen gegenüber fühlen. Das finde ich sehr schade und vor allem überrascht es mich auch. Ich habe in keiner Sekunde ein Unwohlsein oder gar eine Gefahr verspürt. Viele Kinder haben es nicht einfach in ihrem Leben, sie suchen häufig einfach nur ein wenig Aufmerksamkeit und Anerkennung. Das hat heute sehr gut geklappt und ich konnte regelrecht spüren, wie gut es den Kindern getan hat.
So schön der Vormittag war, so traurig machen die Ängste der Anwohner. Ist es nicht die Aufgabe unserer Gesellschaft, dass wir endlich weg von der Trennung kommen und hin zum Miteinander. Und haben nicht gerade die eine besondere Verantwortung, die auf der Sonnenseite des Lebens stehen? Wir alle wissen, dass Aggressionen oft nur ein Hilferuf sind.
Die Personen fühlen sich allein, tragen Unsicherheiten in sich und wollen oft auch einfach nur cool sein. Geben wir den Kindern unserer Gesellschaft mehr Aufmerksamkeit, mehr Stabilität und mehr Wärme lassen sich hier schon Fundamente für ein stabileres Erwachsenenalter bilden und Gewalt vermeiden.
Zum Glück gibt es Menschen, die dies möglich machen! Danke Michael und Melina! Ihr habt heute einen tollen Job gemacht und den Kindern Zuversicht vermittelt. Alle freuen sich auf die nächsten beiden Trainingseinheiten. Mögen diese möglichst vielen der Kinder Stabilität, mehr Selbstvertrauen und ein besseres Ankommen in der Gesellschaft geben.